Dienstag, 26. Januar 2016

Januar: Vier Orte- ein Monat

Diesen Monat ist das Misk’y Wasi bis 28. Januar weiterhin für die Mädchen geschlossen. Somit hatte ich Zeit während diesen Wochen das Kinderheim zu renovieren in den Urlaub zu fahren, auf dem weltwärts-Seminar meine Arbeit zu reflektieren und die Einführungswoche der Mädels Ende Januar vorzubereiten. 

 1) Azurduy über Silvester mit Familie Aparicio López.

Azurduy ist ein Dorf in der gleichnamigen Provinz des Departaments Chuquisaca in Bolivien. Es liegt umgeben von wunderschöner Natur circa 10 Stunden  Busfahrt von Sucre entfernt. Jaqui und ich wurden über Neujahr eingeladen gemeinsam mit der befreundeten Familie Aparicio López (den Veranstaltern des Folklore-Ballets und –Festivals Húascar y Gustavo Aparicio) in ihren Heimatort zu fahren. Wir sagten begeistert zu, bereits neugierig mehr über das Leben und die Menschen aus diesem Ort zu erfahren. Azurduy ist nicht besonders touristisch, aber sehr authentisch. Wir lebten knapp eine Woche zu sechszehnt im Haus der Großeltern. Das Lebensgefühl innerhalb der Familie, die Geborgenheit, Gelassenheit und Freude, die wir zu spüren bekamen sind unvergesslich. Wir lachten und scherzten so viel, sangen, tanzten, gingen spazieren, lernten über die Geschichten und Mythen Azurduys und genossen die Zeit zusammen. In dem Dorf waren tatsächlich alle miteinander bekannt und die meisten auch verwandt in irgendeinem engen oder fernen Grade. Ich habe noch nie so viele Onkels, Tanten und Cousinen einer Familie kennengelernt und war begeistert! Meine Eltern nannten mich schon als kleines Kind „Haufenkind“, da ich selber eine große Familie habe und immer glücklich bin, wenn ich viele liebe Leute, um mich herum habe. Dieser Urlaub war wirklich etwas für die Seele.

Unglaublich viel Spaß zusammen und atemberaubende Natur herum.:)


GRÜN überall.:) den ganzen Tag draußen sein und frische Luft atmen!


und natürlich auch herumalbern.:)

An einem Tag wurde gegrillt... aber nicht so wie ich das aus Deutschland kannte. Charo, die Mutter bereitete das saftigste Fleisch vor, was ich jemals in meinem Leben gegessen hatte. Wenn ich in Deutschland aus dem Supermarkt Fleisch kaufte, kam immer Wasser heraus, womit es aufgespritzt worden war. Hier hingegen kam das Fleisch frisch vom Bauern und war noch unbehandelt- ein Geschmackserlebnis. Dazu gab es Käse-Milchreis- ein weiteres Geschmackswunder. :)

Der Haufen- el montón:))

beeindruckende Weiten

Mariela und Jaqui <3

Herumwitzeln mit der Familie: Onkel Edi spielt Schamane und will Mariela, die gute Seele reinigen"

Ein Museum über Azurduy, Geschichte, Fossilien etc.

Ein atemberaubender Wasserfall...

...und auch sagenumwoben; hier sieht man die Maske, über die es sogar eine eigene Legende gibt.
Überhalb des Wasserfalls, vor der Schlucht
Damit wir der Familie eine deutsche Silvester-Tradition nahe bringen konnten, planten Jaqui und ich Berliner zu machen. Die Töchter der Familie Mariela und Julia halfen tatkräftig mit. Um zwölf, beim Anstoßen wurden die Berliner dann gegessen. Es stellte sich heraus, dass Julia und Onkel Chapaco dieses Jahr besonder viel Glück haben werden, da sie die zwei Berliner mit Senf erwischt hatten.

2) Cuevo- el Chaco Oriental mit unserer Gastmutter Martha


Die Häuser und Straßen des kleinen Dorfes

ein anderes Lebensgefühl.:)

Die Tage, die wir dort waren, war es heiß und wir entschieden uns baden zu gehen. Das Wasser sieht durch das braun schmutzig aus, aber eigentlich war durch die starken Regenfälle lediglich aufgewühlt.

Das Wasser hatte die perfekte Temperatur und das halbe Dorf traf sich dort, um zu baden. Als wir aufgrund der starken Regenfälle drei Tage nacheinander kein Wasser hatten, um zu kochen, auf Toilette zu gehen oder zu duschen, war der Bach die Rettung. Mit dem Wasser konnten wir spülen und kochen. Und mit Naturseife uns wenigstens vom gröbsten Schweiß und Dreck befreien. Ein Erlebnis! :)

Einen anderen Tag fuhren wir aufs Land, um dort bei einem befreundeten Bauern frische Kuhmlich trinken zu gehen. Es gibt nichts Leckeres das.

Ein Traum geht in Erfüllung- selber melken.:)

Eine Kuh reichte locker für eine Familie. Ich brauche unbedingt eine später! Eine Faszination...:)

Die Schweine haben es mir ebenfalls angetan. Auf dem Hof wurden sie natürlich zum Zwecke des Verzehrs gehalten, ich wünsche mir ein Hausschweinchen.:)


Chiquillin, der Besitzer des Hofes verarbeitet die Milch zu Butter und Käse. Darüber hinaus könnte man Buttermilch und Joghurt daraus gewinnen.




ImInnenhof von Marthas Haus hat sie allerlei Pflanzen und Bäume. Feige,Papaya, Chirimoya, Avocado, Limette, Granatapfel, Weintrauben...wie im Paradies. Morgens vorm Frühstück in den Patio und selber pflücken, ein Traum. Hier ein Chili-Baum.

Mittagessen bei dem Bauern Chiquillin: Für uns war eine Ziege geschlachtet worden und wir aßen typisch "chaqueño".
  Die Frische der Lebensmittel gab einen unvergesslichen Geschmack. Wir verbrachten den ganzen Tag bei Chiquillin und seiner Frau, er ließ uns auf seinem Pferd reiten, zeigte uns wie man Käse macht und philosphierte mit uns über Gott und die Welt. Es war ein unglaublich schöner Tag, voller Freude und Gelassenheit.

Nach wenigen Tagen rief Marthas Sohn Roberto an, er würde gemeinsam mit seiner Ehefrau nach Cuevo kommen. So verbrachten wir zu fünft wunderbare Tage zusammen.
So intensiv ging es dann nach zwei kurzen Tagen Zwischenstopp in Sucre weiter. Gemeinsam mit unserer Gastmutter fuhren Jaqui und ich in ihr fast 20 Stunden entferntes Heimatdorf Cuevo im Teil des Chaco Oriental im Departamento Santa Cruz, Grenze Departamento Chuquisaca. Die Zeit zwischen den Reisen und die Reise an sich waren ziemlich anstrengend, aber in dem Dorf gemeinsam mit Martha konnten wir uns gut erholen. Wir hörten Geschichten aus ihrer Kindheit und Jugend, lernten ihre Freunde und Bekannte von hier kennen und besuchten außerdem die Orte, die viele Erinnerungen für sie auf erleben lassen.Tage des Erlebens und Erfahrens. 

3)  Weltwärts-Zwischenseminar, 7 Cascadas, Sucre


Zur Reflektion der vergangenen Monate und zur Planung und Verbesserung der kommenden, gibt es vom Programm weltwärts ein vorgeschriebenes Zwischenseminar. Dafür kamen alle insgesamt fünfzig BKHW-Freiwilligen aus ganz Bolivien nach Sucre. Die Gruppe war aufgeteilt in zwei verschiedene Seminare, damit die Teilnehmerzahl nicht so groß war. An einem Tag trafen wir uns jedoch alle, um gemeinsam einen sozialen Dienst zu verrichten. Wir hatten die Renovierung des Projekts Wiñay im Barrio Canadá ausgewählt, strichen dort die Wände neu und reparierten die umliegenden Spielplätze. Während des Seminars sprachen wir dann über viele verschiedene Dinge. Zunächst stellten wir unser Bild von Bolivien dar, wobei mir auffiel, dass ich ein doch sehr anderes Bolivien hatte als viele der anderen. Das hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Im Vergleich zu den anderen, die in größeren, trubeligeren Städten leben, lebe ich in Sucre, einer Stadt, die sehr gemütlich und gelassen ist. Darüber hinaus lebe ich sehr privilegiert im gepflegten Zentrum der Stadt in einem schönen Haus, super zentral gelegen. Meine Freizeit unterscheidet sich nicht viel von der meinen in Deutschland (nur, dass sie hier knapper bemessen ist- eigene Schuld). Ich gehe sogar häufiger ins Spa, um mir mit meinen Freundinnen die eine Mani-Pedi oder ähnliche Behandlungen machen zu lassen, ich esse hier häufiger außerhalb als in Deutschland. Und das alles in Bolivien, einem Land, das man sich häufig allein mit Armut vorstellt. Meine Arbeit hat viel mit Armut zu tun; aber mein Bolivien ist durch meine Freunde und meine Freizeit anders geprägt. Auf dem Seminar fiel besonders auf, dass Bolivien ein unglaublich vielfältiges Land ist, geografisch, soziologisch, politisch und kulturell gesehen. Ich bin begeistert, von meiner Version Boliviens und möchte jeden dazu animieren sich die Zeit zu nehmen und es selber kennenzulernen. 
Neben der Reflektion ging es auch um Problembehandlung. Häufig gibt es Schwierigkeiten zwischen Freiwilligen und Projekt. Ich habe viel Desillusion verspüren können, aber habe Hoffnung, dass es nun nach dem Seminar in manchen Fällen besser werden könnte. Es war wirklich gut sich austauschen zu können, denn generell waren es ähnliche Problematiken, mit denen die Mehrheit konfrontiert war:

1)      Fehlendes Geld:
-zum einen leiden wirklich viele Projekte unter der Eurokrise, da sie zuvor stark von europäischen Ländern unterstützt wurden, welche nun die Spenden gekürzt oder gestrichen haben. (Hier bestätigt sich für mich, dass der Entwicklungshilfe-Ansatz man könne Menschen aus der Armut „raus spenden“ ein Mythos ist.)
-zum anderen sehe ich aber mit eigenen Augen in meinem Projekt, dass das Geld auch häufig schlecht verwaltet wird

2)   Fehlende Zeit:Viele Freiwillige beschweren sich darüber, es sei schwierig, eigene Aktivitäten mit den Kindern zu realisieren, da es keinen Platz dafür gäbe.
-Ich erinnere mich sehr gut daran, wie es mir ebenso erging und ich aufgrund meiner Chefin Vanesa und der damaligen slowenischen Freiwilligen Ana erst die Möglichkeiten aufgezeigt bekommen habe. Häufig denken wir zu sehr in der Box und machen uns nicht frei von unseren festen Arbeitszeiten, dem Idealismus alles Kinder zu begeistern etc.
-gleichzeitig ist zu beobachten, dass in vielen Projekten die Kinder beschäftigt werden sollen und bloß keine Zeit für Selbstbeschäftigung, Eigeninteressen oder Muße gelassen werden. Daraus resultiert dann, dass die Kinder weniger leben sondern lediglich vor sich hin vegetieren. Natürlich ist dies eine Herausforderung für unser Effizienz-geschultes Denken und deshalb ist es wichtig dabei einen Kompromiss zu finden. In meinem Projekt haben wir nun beispielsweise die Routine verändert und die morgendliche Zeit zum Fertigmachen verkürzt, damit die Kinder mehr Zeit für Schlaf oder private Dinge haben. Ich habe es einfach angesprochen und meiner Chefin gefiel der Vorschlag. Manchmal muss man einfach nur etwas freundlich vorschlagen…

3) Disziplin: Die letzte Herausforderung ist von Stereotypen her betrachtet etwas ironisch. Viele Deutsche beschwerten sich über zu viel Disziplin und fehlende Geborgenheit gegenüber den Kindern in den Projekten, obwohl ich auf meinen Reisen im Ausland häufig dem Vorurteil der „kalten Deutschen“ begegnet bin. Genau aus diesem Grund erscheint mir unsere Arbeit hier wichtig: interkulturelle Kommunikation und Austausch.

4)   Misk’y Wasi

Bereits im Dezember hatten meine Chefin Vanesa und ich angefangen zu renovieren, aufzuräumen, auszusortieren, zu basteln und uns neue Strategien, sowie Regeln für ein besseres Zusammenleben im Kinderheim zu überlegen. Dabei halfen manchmal meine Gastschwester Jaqui und Vanesas Freundin Evelyn. Evelyn ist ebenfalls wie Vanesa ausgebildete Psychologin und half manchmal bei der Arbeit mit den Kindern. Sie wäre sehr notwendig, sowie nützlich als weitere Erzieherin im Misk’y Wasi. Ich würde mir wünschen, dass die Fundación Amazonia ihr die Stelle bezahlte. Unterstützung wurde uns bereits lange zugesprochen, aber bislang nicht gesendet.
Hier nun ein paar Eindrücke von den Verwandlungen.
Beim Streichen des Büros half uns der ehemalige Mann-für-alles der Fundación, Don Pedro. Im Dezember legte er seine Arbeit für die Fundación nieder und begann für eine andere Institution zu arbeiten. Die Gründe: zu viel Arbeit, zu wenig Geld und verspätete Bezahlung, keine Sicherheit durch einen fehlenden Arbeitsvertrag usw.
Im Dezember, vor Weihnachten war er noch nicht bezahlt worden und konnte von seiner neuen Arbeitsstelle auch keine Bezahlung bis Anfang des neuen Jahres erwarten. Die Direktorin der Fundación Amazonia Bolivia war nicht zu erreichen, da sie auf Geschäftsreise in Tokyo war. Das hieß für Don Pedro: kein Geld in Sicht bis zum neuen Jahr. Da Vanesa und ich zu zweit und nicht einmal mit der Hilfe von Eve und Jaqui alles was wir uns vorgenommen hatten zu schaffen schienen, baten wir Don Pedro um Hilfe. Durch die großzügigen Spenden aus Deutschland hatten wir die Möglichkeit Farbe zu kaufen und Don Pedro ein Entgelt zukommen zu lassen von dem er die Weihnachtstage überbrücken konnte. Von den weiteren Spenden kauften wir Lampen für das Studierzimmer, einen großen Mülleimer für die Küche, weitere kleine für die Badezimmer. Wir verkauften den alten Ofen und kauften einen neuen. Dadurch blieb noch genug Geld übrig, um einen Computertisch zur Ordnung des Büros zu kaufen und zwei Chefsessel. Einen für Vanesa und den anderen für ihre „Patienten“, da sie dieses Jahr mit den Mädels einzeln Psychotherapie anfangen möchte. Und damit der Therapieort (das Büro) auch ein angenehmer Ort ist, waren diese Anschaffungen notwendig. Bezüglich der benötigten Therme und der Duschköpfe muss ich noch mit der Leiterin der Fundación Amazonia Bolivia sprechen. Wie bereits im letzten Blogeintrag angesprochen, ist es sehr widersprüchlich als Freiwillige Geld in Form von Spenden oder aus eigener Tasche zu mobilisieren. Schließlich bringe ich schon meinen Arbeitswillen, meine Zeit und meine ganze Kraft im Rahmen meiner Arbeit an. Darüber hinaus ist der viel wichtigere Grund, dass die Projekte auch ohne finanzielle Unterstützung der Freiwilligen überleben und sich autonom über Wasser halten können. Trotzdem habe ich mit diesen einmaligen Anschaffungen aufgrund Ihrer und Eurer großzügigen Spenden viel bewegt. Fotos sind im nächsten Blogeintrag zu sehen, da wir momentan noch etwas am Renovieren sind. Außerdem ist es auch immer schöner die Mädels mit auf den Bildern zu haben, und die kommen erst in der letzten Januar-Woche wieder.

Vielen Dank fürs Lesen und bis bald also!

Liebe Grüße,
Matthia